
Wie Eltern die Handynutzung sinnvoll begleiten – Expert Talk mit Philine Schwalbach
Viele Eltern stehen vor der Herausforderung, klare und faire Regeln für die Handynutzung bei Kindern festzulegen – ohne ständige Konflikte. In unserem Expert Talk mit Philine Schwalbach sprechen wir darüber, welche Strategien wirklich funktionieren und wie Familien eine gesunde digitale Balance finden.
Was sind typische Fehler, die Eltern beim Thema Bildschirmzeit machen, und wie lassen sie sich vermeiden?
Meiner Erfahrung nach ist der Fehler Nr.1, dass Eltern selbst kein gutes Vorbild sind. Wir Eltern und alle anderen nahen Bezugspersonen sind die wichtigsten Vorbilder unserer Kinder. Wenn wir ständig Medien nutzen, dann erlebt unser Kind das als etwas Normales und wird es auch einfordern. Wenn dann der Moment kommt, an dem wir Regeln aufstellen wollen oder müssen, dann müssen wir Regeln für alle Familienmitglieder aufstellen. Das heißt nicht, dass Eltern und Kinder exakt dieselben Regeln haben müssen. Wir Eltern müssen manchmal anders erreichbar sein als unsere Kinder. Und das ist okay, aber wichtig ist, dass es für alle Familienmitglieder Regeln gibt. Und dass sich auch alle an ihre Regeln halten. Vor allem Kinder ab dem Grundschulalter haben oft einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn. Willst du dein Grundschulkind richtig ärgern? Dann stelle Regeln auf und halte dich selbst nicht dran. Dann ist der Ärger vorprogrammiert. Und das ist doch eigentlich auch eine tolle Eigenschaft, die wir in unserer Gesellschaft kultivieren sollten. Für das Regelwerk empfehle ich die Website www.mediennutzungsvertrag.de. Ein leicht verständliches Tool, das inhaltlich viel Input für die Erstellung gibt. Und dann gilt: Den Vertrag gemeinsam verhandeln. Nur im Austausch können realistische und umsetzbare Regeln entstehen. Wir müssen unsere Kinder hören und ihre Wünsche ernst nehmen. Genau so erwarten wir ja auch, dass unsere Kinder uns hören und unsere Wünsche ernst nehmen. Ein tragfähiger Konsens darf ein Prozess sein, der besonders mit verhandlungsstarken Kindern vielleicht auch nicht an einem Abend herbeizuführen ist. Die fertig verhandelten Inhalte kann man übrigens super direkt auch als familiäres Medienprojekt nutzen und z.B. in Canva noch schön gestalten. Ich empfehle, den fertigen Vertrag im Anschluss auszudrucken, in einer kleinen Zeremonie von allen (!) unterschreiben zu lassen und an prominenter Stelle zuhause aufzuhängen. Die Unterschrift eines Kindes kann mehr Gewicht haben, als sich viele Eltern das vorstellen können.
Welche Strategien helfen, Handynutzung in der Familie bewusst und gemeinsam zu gestalten, statt sie als reinen Konfliktpunkt zu sehen? Oft entstehen Streitigkeiten über die Bildschirmzeit, weil Regeln als einseitige Einschränkungen empfunden werden. Wie können Familien stattdessen gemeinsame Lösungen finden, die von allen akzeptiert werden?
Ich denke, wir Eltern müssen bei uns anfangen, idealerweise bevor wir für unsere Kinder Regeln aufstellen (müssen). Wäre ich glücklich damit, wenn mein Kind später das Handy genauso benutzt wie ich heute? Wer diese Frage nicht ganz klar mit Ja beantworten kann, sollte anfangen, die eigene Handynutzung zu reflektieren. Wir nutzen unser Smartphone oft unbewusst. Etwas muss auf die Einkaufsliste. Ich will im Gespräch etwas Gesagtes nachlesen. Ich will wissen, wie spät es ist. Ich möchte eineVerabredung für mein Kind ausmachen. Das sind nur einige der vielen Alltagsmomente, in denen wir automatisch das Smartphone zücken.
Ein Handytagebuch kann für die Reflexion ein nützliches Tool sein. Mache jedes Mal, wenn du dein Handy nutzt einen Eintrag: Wofür? Wie lange? Hilfreich oder hinderlich? Handyfreie Zeiten (Stunden, Tage, Wochen, ganzes Gerät oder einzelne Apps) können außerdem hilfreich sein, um ein besseres Gespür für die eigene Handynutzung zu bekommen, denn dann fällt uns viel schneller auf, in welchen Momenten wir normalerweise das Smartphone genutzt hätten.
Und das sollten wir auch unseren Kindern beibringen. Hier mal ein paar Fragen, die Eltern ihren Kindern stellen können, wenn der Wunsch nach Handyzeit geäußert wird:
- Was willst du mit dem Handy machen?
- Warum jetzt?
- Warum hast du in diesem Moment keine Lust, was anderes zu machen?
Während der Nutzung:
- Was machst du da?
- Kannst du mir das mal zeigen/erklären?
Nach der Nutzung:
- Wie geht es dir?
- Geht es dir jetzt besser oder schlechter als vor der Handyzeit?
- Hast du was Spannendes gelernt?
Das sind jeweils nur ein paar Beispiele. Was ich damit sagen will: In Kontakt bleiben und die Mediennutzung unserer Kinder zu begleiten, ist das A und O. Das ist natürlich einfacher, je jünger das Kind ist. Daher empfehle ich allen Eltern: Startet so früh wie möglich, am besten schon bevor eure Kinder überhaupt aktiv Medien nutzen, mit der Reflexion eurer eigenen Mediennutzung, damit ihr diese Fähigkeiten dann an eure Kinder weitergeben könnt.
Auf dieser Basis ist es dann auch viel einfacher, gemeinsame Handy- oder Medienprojekte zu finden, weil ihr voneinander wisst, was euch wichtig ist und Spaß macht. Wenn zum Beispiel alle das Handy gerne nutzen, um Dinge nachzulesen, dann nutzt das. Geht raus, sucht nach Pflanzen oder Tieren und sammelt Informationen dazu. Erstellt vielleicht euer eigenes kleines Familien-Lexikon über die Pflanzen und Tiere in eurem Garten, dem Wald oder Park in eurer Nähe.
Beim Thema Regeln gilt auch hier: Es muss Regeln für alle Familienmitglieder geben, auf die sich gemeinsam geeinigt wurde (siehe Frage 1).
Wie können Eltern erkennen, ob ihr Kind eine ungesunde Handynutzung entwickelt, und welche ersten Schritte sollten sie dann unternehmen? Zwischen „normaler“ Smartphone-Nutzung und einer problematischen Abhängigkeit gibt es viele Grauzonen. Welche Warnsignale sollten Eltern ernst nehmen, und wie können sie behutsam eingreifen, ohne das Vertrauensverhältnis zu gefährden?
Auch hier sind Austausch und Begleitung die Basis (siehe Frage 2). Für typische Warnzeichen gibt es Checklisten im Internet, z.B. von klicksafe. Eine Frage daraus: Nutzt Ihr Kind Smartphone, Computer, Konsole oder Internet vermehrt dazu, Gefühle wie Ärger oder Wut abzubauen oder Probleme zu verdrängen? Wenn Medien der einzige Kanal für den Umgang mit negativen Gefühlen sind, sollten die Alarmglocken angehen. Sowas passiert nicht von jetzt auf gleich. Kinder müssen lernen, mit negativen Gefühlen umzugehen. Dazu gehört, dass sie lernen, dass es diese Gefühle gibt und dass sie richtig und wichtig sind, weil sie uns etwas über uns verraten. Dazu gehört auch, diese Gefühle benennen zu können. Dazu gehört, dass wir Eltern die negativen Gefühle unserer Kinder aushalten. All das sind Themen, die wir mit unseren Kindern weit vor der ersten Mediennutzung besprechen und üben sollten.
Was ich damit sagen will: Es ist wichtig, diese Warnzeichen zu kennen. Allerdings muss auch schon einiges passiert oder gerade nicht passiert sein, damit es zu diesen Warnzeichen kommt. Je besser wir mit unseren Kindern in Kontakt sind, desto früher erkennen wir Unstimmigkeiten im Verhalten unserer Kinder. Je früher wir Unstimmigkeiten erkennen, desto einfacher ist es, einzugreifen. Je besser wir mit unseren Kindern in Kontakt sind, desto stärker ist auch unsere gemeinsame Vertrauensbasis. Und das ist die Basis, die wir brauchen, um unseren Kindern zu helfen, sollten wir vermuten, dass die Mediennutzung unserer Kinder ungesunde Züge entwickelt. Ich würde Eltern in einem solchen Fall immer raten, sich professionelle Hilfe zu suchen.
Welche konkreten Maßnahmen können Familien ergreifen, um eine gesunde Mediennutzung zu fördern und Mediensucht vorzubeugen? Welche Tipps würdest Du Eltern mitgeben, die dabei Unterstützung suchen?
Wie oben bereits erwähnt, fängt das Thema immer bei den Eltern an. Die Reflexion der eigenen Mediennutzung und der damit verbundenen Vorbildrolle bildet die Basis. Und dann? Begleiten, begleiten, begleiten. Im Austausch bleiben, Interesse an der (Medien-) Welt der Kinder zeigen, Alternativen bieten. Je mehr Abwechslung im Alltag eines Kindes herrscht, desto weniger fällt Mediennutzung ins Gewicht. Medien und Medienerziehung werden meiner Meinung nach viel zu oft isoliert betrachtet. Dabei entsteht ungesunde Mediennutzung durch viele Einflussfaktoren. Und für Medien gelten andere Maßstäbe als für andere Hobbies. Während Eltern völlig selbstverständlich viele Stunden auf dem Fußballplatz verbringen, um ihre Sprößlinge anzufeuern, verbringen viele Eltern genauso selbstverständlich 0 Stunden in der Medienwelt ihrer Kinder. Je älter die Kinder, desto weniger Zeit investieren Eltern hier. Das ist nicht nur schade, weil es wichtige Bindungsmomente unmöglich macht, das kann auch gefährlich werden. Und wer weiß? Vielleicht schlummert in dem einen oder anderen Elternteil noch ein wahrer Minecraft-Profi? Ich freue mich schon auf die Zeit, wenn unser Kind in das Alter kommt. In mir schlummert nämlich eine kleine Zockerin, auch wenn ich lange nicht gespielt habe.
Wie wichtig ist die elterliche Vorbildfunktion im Umgang mit digitalen Medien? Hast Du Beispiele, wie Eltern einen positiven Einfluss auf das Medienverhalten ihrer Kinder haben können?
Ich denke, die Wichtigkeit habe ich in den vorangegangenen Fragen schon sehr ausführlich dargelegt. Sie ist für mich die Basis für alles andere. Ich wiederhole mich, aber auch hier: Reflexion. Je früher Kinder lernen zu benennen, wie es ihnen mit und ohne Medien geht, desto besser.
Unser Kind ist noch klein, Bildschirmmedien sind hier noch kein Thema. Aber Hörmedien dafür umso mehr. Wir haben bewusst keine zeitlichen Limits gesetzt, als die Tonie Box bei uns eingezogen ist. Nach ein paar Tagen non-stop Osterliedern im Dezember hat es sich von alleine reguliert und unser Kind macht die Box aus, wenn es ihm reicht. Wir haben ihm immer wieder gesagt, dass er das jederzeit machen kann. Das klappt nicht mit allen Kindern, wir hatten Glück. Aber je mehr wir Eltern eingreifen, desto weniger lernen unsere Kinder ihre eigenen Grenzen kennen. Bildschirmmedien, vor allem Spiele und Social Media sind natürlich auch noch was anderes, weil sie so konzipiert sind, dass es schwer ist, aufzuhören. Da müssen wir einen schützenden Rahmen schaffen, aber wir sollten unsere Kinder trotzdem dazu ermutigen, in sich hineinzuhorchen und zu fühlen.
Dabei geht es aber nicht nur um Medienzeiten, sondern vor allem auch um Inhalte und die gibt es in extrem unterschiedlicher Qualität. Glücklicherweise gibt es Ratgeber, wie www.flimmo.de oder den Spieleratgeber NRW, die gute Anlaufpunkte sind, wenn man sich vorab (!) über Filme, Serien oder Spiele informieren möchte. Wenn man vorab schaut, worum es in einem Film, einer Serie oder einem Spiel geht, hat das zwei wesentliche Vorteile. Erstens kann man einschätzen, ob der Inhalt wirklich für das Kind geeignet ist. Nicht jedes Kinder reagiert gleich auf jeden Inhalt und für manche Kinder passen die Altersempfehlungen, für andere nicht. Zweitens kann man einschätzen, ob man selbst die Inhalte auch spannend oder wenigstens erträglich findet. Je mehr das der Fall ist, desto einfacher ist das Begleiten. Und desto mehr Spaß macht die gemeinsame Medienzeit.