Medienerziehung in der Familie: Anke Obermayer im Gespräch mit Kidgonet
Medienerziehung in der Familie wird in einer digitalen Welt zur immer größeren Herausforderung. In unserem Gespräch mit Anke Obermayer von Kinder stärken mit Herz zeigt die erfahrene Selbstbehauptungstrainerin, wie Eltern ihre Kinder stärken können – emotional, digital und sozial. Sie erklärt, warum emotionale Reife wichtiger ist als das Alter beim ersten Handy, wie man Cybermobbing vorbeugt und warum Regeln allein nicht genügen. Ein Interview voller praktischer Impulse und ehrlicher Fragen, das Eltern hilft, Medienerziehung im Alltag bewusst zu gestalten.

Anke Obermayer
- Kinder- und Jugendtrainerin
- Gründerin von Kinder stärken mit Herz
- Schwerpunkte: Mobbingprävention & Medienkompetenz
- Website: kinderstaerkenmitherz.at
- IG: @kinderstaerkenmitherz
In deinen Selbstbehauptungskursen lernen Kinder, ihre Grenzen zu erkennen und zu wahren. Wie kann dieses Bewusstsein auf den Umgang mit digitalen Medien und Handys übertragen werden?
Wenn Kinder in meinen Kursen lernen, ihre Grenzen zu erkennen und zu wahren, stärkt das auch ihr digitales Selbstbewusstsein. Sie merken eher, wann ihnen etwas zu viel wird, was sich nicht gut anfühlt – und trauen sich dann, „Nein“ zu sagen, Inhalte zu melden oder das Handy bewusst zur Seite zu legen. Das geht jedoch nur, wenn sie ihre Gefühle kennen und auch benennen können. Dieses innere Stopp-Schild wirkt online genauso wie im echten Leben.
Welche Strategien empfiehlst du Eltern, um gemeinsam mit ihren Kindern gesunde Mediengewohnheiten zu entwickeln und zu pflegen?
Wichtig ist, dass Eltern Vorbilder sind: bewusstes Handyverhalten vorleben, klare Regeln gemeinsam festlegen und regelmäßig über Medieninhalte sprechen. Dazu empfehle ich einen Mediennutzungsplan ( www.mediennutzungsvertrag.de ), der individuell angepasst werden kann. Je früher dieser eingeführt wird, desto eher gewöhnen sich alle in der Familie daran. Eine klare Haltung der Eltern gibt den Kindern Halt!
Auch Rituale wie medienfreie Zeiten oder Zonen helfen – genauso wie echtes Interesse am digitalen Alltag der Kinder. Gemeinsam statt Kontrolle schafft Vertrauen: Verstehen statt verbieten.
Am wichtigsten wären mir hier 2 Regeln: Handy nachts raus aus dem Kinderzimmer – es lebe der digitale, „normale“ Wecker und niemals ein Handyverbot aussprechen oder damit drohen. Dann werden die Kids nämlich nichts mehr erzählen aus Angst, dass ihnen das Handy weggenommen wird.
Cybermobbing ist ein zentrales Thema deiner Arbeit. Welche präventiven Maßnahmen empfiehlst du Eltern, um ihre Kinder vor solchen Erfahrungen im digitalen Raum zu schützen?
Offene Gespräche sind die wichtigste Prävention – Kinder sollen wissen: „Ich darf immer zu dir kommen.“ Früh über respektvollen Umgang, Privatsphäre und Risiken aufklären. Offline wie online. Technische Schutzmaßnahmen (z. B. Sicherheitseinstellungen) nutzen, aber nicht als Ersatz für Vertrauen. Selbstbewusstsein und soziale Stärke sind der beste Schutz gegen Cybermobbing. Sollte es dennoch zu Cybermobbing kommen, suchen Sie sich bitte Hilfe auf diesen Plattformen:
- Bündnis gegen Cybermobbing: Das Bündnis bietet umfassende Informationen, eine Helpline (0721 16009-15) und eine Liste mit Beratungsstellen.
- Cybermobbing-Hilfe e.V.: Diese Organisation bietet Online-Beratung und weitere Hilfsangebote.
- Juuuport: Eine bundesweite Online-Beratungsplattform speziell für Jugendliche.
- Nummer gegen Kummer: Anonyme Beratung für Kinder, Jugendliche und Eltern (Tel.: 116111).
Du begleitest Familien beim Aufbau von Medienkompetenz. Was hältst du von altersgerechten Webfiltern, sind sie aus deiner Sicht eine hilfreiche Unterstützung oder eher hinderlich für die Medienbildung von Kindern?
Altersgerechte Webfilter können eine gute Unterstützung sein – vor allem bei jüngeren Kindern. Sie schaffen einen gewissen Schutzrahmen. Wichtig ist aber: Sie ersetzen keine Begleitung. Kinder brauchen Gespräche, um zu verstehen, warum Inhalte ungeeignet sind. Nur so entsteht echte Medienkompetenz – nicht durch Sperren allein.
Am besten schauen Sie mit Ihrem Kind gemeinsam gewisse Serien / Filme an und beobachten, wie das Kind darauf reagiert. Apps, die Kinder gerne runterladen möchten, sollten vorher auf das eigene Gerät geladen werden, um sie zu testen und kennenzulernen. Hier ist es wichtig mit dem Kind zu besprechen, wieso es diese App haben möchte und was die Chancen, sowie Gefahren sind.
Du bietest Workshops zur Stärkung des inneren Kindes an. Welche Rolle spielt die emotionale Reife bei der Entscheidung, ob ein Kind bereit für ein eigenes Handy ist?
Die Emotionale Reife ist entscheidend. Ein Kind sollte verstehen, was Verantwortung im Umgang mit einem Handy bedeutet – z. B. bei Konflikten, Datenschutz oder Bildschirmzeit. Nur wenn ein Kind mit Gefühlen wie Frust, Neugier oder Gruppendruck umgehen kann, ist es wirklich bereit. Nicht das Alter zählt, sondern die innere Stabilität.
Und dazu ist es wichtig, den Kindern vertrauen zu können. Kann es sich nicht an Abmachungen halten oder geht es heimlich ans Handy, dann ist es definitiv zu früh.
Diese Frage sollten sich alle Eltern stellen (Auszug aus dem Buch: „Allein mit dem Handy“ von Daniel Wolff)
- Ab welchem Alter wollen Sie Ihrem Kind zumuten, in eine Situation kommen zu können, ungewollt oder gewollt abartigen Horror, extreme Gewalt und / oder Hardcore-Pornos zu sehen?
- Ab wann soll Ihr Kind Apps ausgesetzt werden, die so konzipiert und sehr erfolgreich dabei sind, Ihr Kind süchtig zu machen?
- Ab wann soll Ihr Kind von anderen im Internett gemobbt werden können oder andere Kinder mobben?
- Ab wann sollen Pädophile theoretisch mit Ihrem Kind in Kontakt treten können, ohne, dass sie es mitbekommen?
- Wie gut kennen Sie sich selbst darin aus, was Kinder im Internet erleben, damit Sie ihr Kind entsprechend vorbereiten können?
- Sind Sie vor allem am Anfang selbst viel zu Hause, um Ihr Kind intensiv zu begleiten?
- Haben Sie so ein gutes Vertrauensverhältnis zu Ihrem Kind, dass es sicher und immer zu Ihnen kommen würde, wenn im Internet etwas schiefläuft?
Und jetzt Fragen, die alle Eltern betreffen:
Krass aber wichtig: Mit dem Handy ist es aus mit der Kindheit.
Hier noch wichtige Seiten und Dokumentationen, die Eltern auf jeden Fall kennen, bzw. gesehen haben sollten:
- www.klicksafe.de
- www.medien-sicher.de
- www.schau-hin.de
- die Netflix-Dokumentation The Social Dilemma
- die ARTE-Dokumentationsreihe Dopamin