Ab wann ein eigenes Handy für Kinder sinnvoll ist – Interview mit Annika Bremerich über digitale Stärke und elterliche Begleitung
Ab wann ein eigenes Handy für Kinder sinnvoll ist, fragen sich viele Eltern – besonders dann, wenn der Wechsel auf die weiterführende Schule bevorsteht. Zwischen Gruppenchats, YouTube-Videos und digitalem Miteinander fühlen sich Kinder oft überfordert – und Eltern unsicher: Wie begleite ich mein Kind, ohne es zu kontrollieren? Annika Bremerich, Resilienztrainerin mit Erfahrung aus über 5.000 Trainingsstunden an Grundschulen, spricht im Interview über Ängste, Grenzen und digitale Selbstbehauptung. Für Eltern, die ihr Kind stärken möchten, bietet sie ein kostenfreies 0 €-Online-Elterntraining an – praxisnah, stärkend und sofort umsetzbar.

Du arbeitest jede Woche mit Kindern an Selbstbehauptung und Resilienz. Was beobachtest du im Umgang mit digitalen Medien – ab welchem Alter begegnen dir Kinder, die bereits ein eigenes Handy nutzen, und was beschäftigt sie dabei?
Ich bin viel an Grundschulen unterwegs und arbeite mit Kindern an den Themen Selbstbehauptung und Resilienz. Dabei bekomme ich natürlich auch viel mit, was sie in ihrem Alltag beschäftigt – und digitale Medien sind da ein großes Thema.
Meine Erfahrung ist: Die meisten Kinder bekommen ihr eigenes Handy erst zum Ende der 4. Klasse – meist als Vorbereitung auf den Wechsel zur weiterführenden Schule. Das ist dann oft ein großes Ereignis für die Kinder, weil es ein Gefühl von „groß und selbstständig sein“ vermittelt. Vorher dürfen viele Kinder aber auch schon regelmäßig an sogenannte „Spielehandys“ – also alte Geräte von Mama oder Papa, die vor allem zum Zocken oder für YouTubeKids genutzt werden.
Was ich beobachte: Die Kinder haben großen Spaß an den Geräten, gleichzeitig spüre ich aber auch viel Unsicherheit – zum Beispiel, wenn es um Gruppenchats geht, um Kommentare, Likes oder darum, wie man auf bestimmte Nachrichten reagieren soll. Viele Kinder erzählen mir, dass sie Angst haben, etwas falsch zu machen, ausgeschlossen zu werden oder „nicht dazuzugehören“. Und genau da wird es aus meiner Sicht wichtig, dass wir Kinder früh begleiten, stärken und ihnen soziale Kompetenzen an die Hand geben – noch bevor sie dauerhaft online sind.
Viele Eltern fühlen sich unsicher: Wie kann ich mein Kind vor negativen Einflüssen auf dem Handy schützen, ohne es komplett zu kontrollieren? Was rätst du Eltern aus deiner Erfahrung in der Arbeit mit über 5.000 Kindern?
Das erlebe ich wirklich oft: Eltern möchten ihr Kind schützen – was absolut verständlich und richtig ist – aber sie wollen auch nicht alles kontrollieren. Und genau da liegt der Knackpunkt: Kontrolle ohne Beziehung funktioniert nicht. Kinder brauchen kein „Kontrollsystem“, sie brauchen ein starkes Vertrauenssystem.
Aus meiner Erfahrung mit über 5.000 Kindern kann ich sagen: Die besten Schutzfaktoren sind nicht Filter oder Überwachungs-Apps – sondern starke Kinder, die wissen, was sie wollen, was sie dürfen und wo ihre Grenzen sind. Kinder, die sich trauen, Nein zu sagen. Die wissen: Ich bin nicht allein, ich kann mit meinen Eltern über alles reden – auch über Fehler.
Was ich Eltern immer mitgebe:
- Schafft eine Kultur des Gesprächs – sprecht regelmäßig über das, was eure Kinder online erleben. Nicht nur, wenn etwas schiefgeht.
- Seid ehrlich neugierig: „Was macht dir Spaß am Handy? Was stört dich manchmal?“ – statt heimlich zu kontrollieren.
- Legt gemeinsam klare Regeln fest – wann, wie lange, was. Wenn das Kind mitentscheidet, hält es sich eher daran.
- Und vor allem: Bleibt im Gespräch, auch wenn es schwierig wird. Kinder machen Fehler – so wie wir auch. Wichtig ist, dass sie wissen: Ich darf mit allem zu Mama oder Papa kommen.
Digitale Medien sind wie ein riesiger Spielplatz. Es wird immer Ecken geben, die riskant sind – aber wenn ein Kind stark ist, begleitet wird und weiß, dass es Hilfe holen darf, dann kann es dort auch ganz viel Gutes erleben.
Allen Eltern rate ich, selbst in der Digitalen Welt auf dem Laufenden zu bleiben und sich hier intensiv selbst mit den neuesten technischen Möglichkeiten auseinanderzusetzen, denn unsere Kinder werden damit groß, ob wir es wollen oder nicht.
In deiner Arbeit legst du Wert auf frühzeitige Prävention und starke innere Strategien. Welche Fähigkeiten helfen Kindern besonders, sich auch in der digitalen Welt gut zu behaupten – etwa in Chats, Spielen oder sozialen Netzwerken?
Absolut – in meiner Arbeit geht es vor allem darum, Kinder von innen heraus stark zu machen. Denn nur wenn ein Kind weiß, wer es ist, was es fühlt, was es will und wo seine Grenzen liegen, kann es sich auch in der digitalen Welt gut behaupten. Da gelten nämlich die gleichen Prinzipien wie auf dem Schulhof – nur oft schneller, anonymer und dadurch auch manchmal verletzender.
Diese Fähigkeiten helfen Kindern ganz besonders:
1. Ein gesundes Selbstwertgefühl
Ein Kind, das sich selbst mag und spürt: Ich bin o.k., so wie ich bin, lässt sich weniger von Likes, Kommentaren oder fiesen Nachrichten aus der Bahn werfen. Es definiert seinen Wert nicht über digitale Anerkennung.
2. Klare Grenzen setzen
Kinder müssen lernen: Ich darf Nein sagen – auch online. „Ich will das Bild nicht schicken.“ „Ich möchte den Chat verlassen.“ Diese Haltung trainieren wir regelmäßig in meinen Kursen – ganz konkret mit Rollenspielen.
3. Gefühle benennen und regulieren
Oft passiert online etwas, das Kinder verunsichert, kränkt oder wütend macht. Wer seine Gefühle benennen kann („Ich bin traurig, weil ich ausgelacht wurde“) und weiß, wie man damit umgeht, bleibt handlungsfähig – statt impulsiv zurückzuschlagen oder sich zurückzuziehen.
4. Stark in der Kommunikation
Das bedeutet: Ich weiß, wie ich mich ausdrücken kann – freundlich, klar, bestimmt. In Chats oder Spielen kann das heißen: „Ich möchte, dass du damit aufhörst.“ Oder: „Das war nicht nett.“ Viele Kinder wissen was sie sagen wollen – aber nicht wie.
5. Hilfe holen – ohne Scham
Viele Kinder glauben leider, sie müssten Probleme allein lösen. Ich vermittle ihnen: Sich Hilfe holen ist kein Petzen – es ist Stärke. Das gilt im echten Leben genauso wie bei Mobbing oder Beleidigungen im Netz.
Ich arbeite präventiv – also bevor etwas passiert. Denn starke innere Strategien sind wie ein Schutzschild. Sie helfen Kindern nicht nur im Klassenzimmer – sondern auch im digitalen Raum, in sozialen Netzwerken, Chats oder Online-Spielen.
Und das Beste: Diese Strategien lassen sich spielerisch und alltagsnah üben – mit Geschichten, Spielen und Übungen, die Kindern richtig Spaß machen. Denn wer früh lernt, sich zu behaupten, der bleibt auch später viel sicherer im Umgang mit digitalen Herausforderungen.
Wir entwickeln eine Kinderschutz-App, die Eltern dabei unterstützt, ihr Kind altersgerecht beim Einstieg ins digitale Leben zu begleiten. Was sollte deiner Meinung nach eine gute Kinderschutzlösung unbedingt leisten – und wie kann sie die Beziehung zwischen Eltern und Kind stärken statt belasten?
Das ist wirklich super von euch, denn der Einstieg ins digitale Leben ist eine große Herausforderung, sowohl für Kinder als auch für Eltern. Aus meiner Erfahrung mit über 5.000 Kindern und ihren Familien würde ich sagen: Eine gute Kinderschutz-App sollte nicht nur kontrollieren – sondern vor allem begleiten, stärken und verbinden.
Hier sind ein paar Ideen, die ich in eurer App sehr begrüßen würde:
1. Aufklärung statt Überwachung
Die App sollte Eltern altersgerechte Infos geben:
Was passiert gerade in der digitalen Welt? Welche Risiken gibt’s – und wie kann ich mein Kind altersgemäß begleiten?
Denn viele Eltern fühlen sich unsicher – sie brauchen Unterstützung, um überhaupt zu verstehen, was ihr Kind da eigentlich macht.
2. Schutzfunktionen, die Vertrauen schaffen
Natürlich braucht es auch technische Schutzfunktionen – aber in einem transparenzfördernden Rahmen:
- Eltern sehen nicht alles, aber bekommen Hinweise auf mögliche Risiken.
- Kinder wissen, was überwacht wird – so entsteht kein heimliches Misstrauen, sondern ein klarer Rahmen, der Sicherheit gibt.
- Je älter das Kind, desto mehr Verantwortung wird übertragen – ein Mitwachsen der Freiheitenist wichtig.
3. Stärkung der kindlichen Selbstkompetenz
Kinder müssen lernen:
„Ich kann selbst entscheiden, was gut für mich ist – und ich weiß, wie ich mit Problemen umgehe.“
Eine App könnte:
- kindgerechte Videos oder Mini-Geschichten anbieten (z. B. zu Cybermobbing, Kettenbriefen oder Bildweitergabe)
- Strategien zur Selbstbehauptung vermitteln
- zeigen, wie man Hilfe holt und wie sich stark fühlen anfühlt
4. Kindgerechte Dialogimpulse
Die App sollte Eltern helfen, ins Gespräch mit dem Kind zu kommen – nicht nur Regeln festzulegen.
Zum Beispiel mit:
- Gesprächsanregungen zu Themen wie „Was machst du online, was macht dir Spaß, was stresst dich?“
- Reflexionsfragen nach der Bildschirmzeit: „Was hast du heute online erlebt?“
- Vorschlägen für gemeinsame Vereinbarungen statt starrer Verbote.
5. Gemeinsame Erfolge sichtbar machen
Die App könnte Fortschritte dokumentieren – z. B.:
„Du hast heute 3x selbst entschieden, offline zu gehen“ oder
„Du hast deinem Kind ein Kompliment für den bewussten Umgang mit YouTube gemacht“
→ Stärkung durch positive Rückmeldung – auf beiden Seiten.
Am Ende soll eine gute Kinderschutzlösung die Bindung zwischen Eltern und Kind stärken.
Sie sollte Eltern helfen, nicht aus Angst zu kontrollieren, sondern aus Liebe zu begleiten.
Und Kindern zeigen: „Ich vertraue dir – und bin da, wenn du mich brauchst.“
Das ist echter Schutz. Und echte Stärke.
Mit dem Superlöwen stärkst du Kinder in ihrer Persönlichkeit und Konfliktfähigkeit. Wie integrierst du dabei auch das Thema Medien – etwa den Umgang mit Handys oder Online-Konflikten – und welche Impulse gibst du Kindern, um sich auch digital selbstbewusst und sicher zu bewegen?
In meinen Präsenztrainings arbeite ich vor allem mit Grundschulkindern, die selbst oft nochkein eigenes Handy haben, aber bereits beginnen, erste digitale Erfahrungen zu sammeln – sei es mit dem „Spiele-Handy“, über die Geräte der Eltern oder über die Erlebnisse von älteren Geschwistern.
Mir ist wichtig, Kinder frühzeitig stark zu machen, bevor sie in die digitalen Räume eintauchen – damit sie sich dort genauso sicher und selbstbewusst bewegen wie im echten Leben.
Deshalb ist das Thema Medienkompetenz ein fester Bestandteil meines Superlöwen-Onlinekurses, den Eltern gemeinsam mit ihren Kindern durchlaufen. Für die Inhalte rund um Smartphone-Nutzung, Social Media, WhatsApp-Gruppen und digitale Konflikte habe ich mir bewusst Unterstützung von einer erfahrenen Medienpädagogin geholt, um praxisnahe und altersgerechte Impulse zu geben.
Drei wichtige Impulse, die ich Kindern in jedem Superlöwentraining mitgebe:
1. Kenne und benenne deine Gefühle und Gedanken– auch online
Bevor Kinder eigene digitale Geräte nutzen, üben wir schon, wie sie ihre Gefühle benennen und unangenehme Gedanken hinterfragen können.
Denn: Wer gelernt hat zu sagen „Ich fühl mich gerade ausgeschlossen“ oder „Ich glaube, das war nicht so gemeint“, geht auch in einem Gruppenchat anders mit Provokationen um.
2. Grenzen setzen und STOP sagen – auch im Chat
In meinem Kurs lernen Kinder klare Aussagen wie:
„Ich möchte das nicht.“ – „Lass das bitte.“ – „Hör auf, mir das zu schicken.“
Diese Haltung – erst in Rollenspielen geübt – können auch auf digitale Situationen übertragen werden: Was kann ich tun, wenn ich in der WhatsApp-Gruppe geärgert werde? Wie kann ich mich abgrenzen, ohne aggressiv zu werden?
3. Du bist gut, so wie du bist: innere Stärke schützt auch online
Ein Kind, das um seinen Wert weiß und sich nicht so leicht verunsichern lässt, ist online weniger angreifbar.
Deshalb ist Selbstbehauptung das Fundament: Ich trainiere mit den Kindern innere Stärke, eine klare Körpersprache und ein gutes Gefühl für ihre eigenen Grenzen – online wie offline.
Kinder sollen nicht nur digitale Regeln auswendig lernen,
sondern ein inneres Navigationssystem entwickeln, das ihnen auch in der Online-Welt sagt:
- Was tut mir gut?
- Was darf ich ignorieren?
- Wann brauche ich Hilfe?
Denn echte digitale Stärke beginnt im Inneren.