Das erste Handy fürs Kind: Wie Eltern digital begleiten können: Interview mit Mirjam Lamberti

Das erste Handy ist für viele Kinder ein großer Meilenstein – und für Eltern oft ein Anlass zur Sorge. Wie gelingt der Einstieg ins digitale Leben, ohne dass Kinder überfordert werden oder in gefährliche Situationen wie Cybermobbing geraten? Im Interview erklärt Anti-Mobbing-Coachin Mirjam Lamberti, worauf es ankommt, wenn das erste Handy beim Kind zum Thema wird – und wie Eltern mit kluger Begleitung und Tools wie Kidgonet für Sicherheit und Selbstvertrauen sorgen können.

Mirjam Lamberti, Expertin für Cybermobbing-Prävention, im Interview mit Kidgonet – beim Spaziergang mit ihrem Hund

Mirjam Lamberti

  • Schwerpunkte:
    • Prävention und Begleitung bei (Cyber-)Mobbing
    • Stärkung von Selbstwert und digitaler Resilienz
    • Elternberatung im Umgang mit digitalen Herausforderungen
  • Website
  • Instagram

Du begleitest Kinder und Teenager, die von Mobbing oder Cybermobbing betroffen sind. Ab wann erlebst du in deiner Arbeit, dass das erste eigene Handy zum Thema wird und mit welchen Risiken oder Unsicherheiten sind Kinder in diesem Moment oft konfrontiert?

In meiner Arbeit als Antimobbingcoachin und Expertin für Cybermobbing erlebe ich, dass das erste eigene Handy oft rund um den Wechsel in die Mittelstufe (4. Klasse), also etwa mit 9 bis 11 Jahren ein Thema wird. Das ist ein spannender, aber auch herausfordernder Schritt, denn das Handy bedeutet für viele Kinder zum ersten Mal echte digitale Eigenverantwortung. Gerade zu Beginn sind Kinder oft überfordert mit der ganzen Thematik der sozialen Medien, die sich oft als erstes durch Chats oder Gruppennachrichten in Whatsapp entwickelt. Ein „Nicht-Antworten“ kann plötzlich als Ablehnung gelesen werden, ein lustig gemeinter Sticker als Ausgrenzung. Es fehlt ihnen noch an innerer Stabilität und kommunikativer Reife, um mit diesen Missverständnissen souverän umzugehen. Die Kinder brauchen dazu die liebevolle Führung und Unterstützung von uns Eltern, um sich in diesem digitalen Dschungel zurecht zu finden. Ich mache oft den Vergleich mit Auto fahren lernen. Du gibst deinem 18jährigen Sohn oder Tochter auch nicht einfach die Autoschlüssel in die Hand und sagst:» Da ist der Schlüssel des Autos, fahr doch schon mal los» Wichtig ist deshalb: Kinder brauchen nicht nur technische Regeln und Schutzfunktionen durch die App wie Kidgonet, sondern echte Begleitung. Zum Beispiel durch Gespräche über digitale Grenzen, respektvollen Umgang und den Mut, sich Hilfe zu holen. Wenn das Handy ein Beziehungsthema bleibt und nicht nur ein heimlicher Rückzugsort, können Kinder damit viel gesünder umgehen.

Cybermobbing findet heute oft in Gruppenchats, Stories oder über Screenshots statt – und für Eltern bleibt es häufig unsichtbar. Was empfiehlst du Eltern, um Anzeichen früh zu erkennen und ihr Kind präventiv zu stärken, bevor es zu einer Eskalation kommt?

Cybermobbing geschieht leider häufig still und von den Eltern unbemerkt. Viele Kinder sprechen aus Scham, Schuldgefühlen oder Angst lange nicht darüber. Deshalb ist es wichtig, schon früh eine vertrauensvolle Gesprächsbasis zu schaffen, in der Gefühle und Unsicherheiten einen sicheren Raum haben dürfen. Ich empfehle Eltern, regelmässig Gespräche über das digitale Leben ihres Kindes zu führen. Nicht im Verhör-Stil, sondern interessiert: „Mit wem chattest du gerade am liebsten?“, „Gibt’s in eurer Klassengruppe auch mal Streit?“, „Was macht dir online Spass und was nervt dich manchmal?“ So können Kinder lernen, dass auch unangenehme Erfahrungen gesagt werden dürfen. Ausserdem hilft es, auf subtile Veränderungen seines Kindes zu achten: Vermehrter Rückzug, plötzliche Ablehnung des Handys oder nur noch am Handy sein zu wollen, Schlafprobleme, Gereiztheit, Konzentrationsprobleme oder körperliche Symptome wie Kopf- oder Bauchschmerzen, können Hinweise sein, dass etwas nicht stimmt. Prävention bedeutet aber auch, Kinder in ihrem Selbstvertrauen zu stärken. Das beginnt bei einem gesunden Selbstwertgefühl und einem klaren Verständnis von Grenzen: „Was tut mir gut? Was darf ich ablehnen? Ich darf für mich einstehen.» Übungen wie z. B. mein „digitaler Schutzkreis“ helfen Kindern, sich innerlich zu stärken. Nicht nur gegen fiese Kommentare, sondern auch gegen Gruppendruck. Und zuletzt: Eltern müssen keine Digitalprofis sein. Aber sie sollten präsent, interessiert, ansprechbar und wertungsfrei bleiben. So entsteht ein sicherer Hafen, zu dem Kinder auch bei schwierigen Online-Erfahrungen zurückkehren.

Du arbeitest im 1:1-Coaching mit Kindern und Jugendlichen. Welche Strategien helfen Kindern ganz konkret, sich in digitalen Konflikten selbst zu behaupten, etwa bei Ausgrenzung, Gerüchten oder verletzenden Nachrichten?

Im Coaching stärke ich die Kinder innerlich und gebe ihnen konkrete Handlungsmöglichkeiten an die Hand. Zuerst geht es ums Verstehen: Viele glauben, sie seien schuld an den Angriffen. Schuld- und Schamgefühle erleben 99% der Kinder, welche von (Cyber)Mobbing betroffen sind. Wenn Kinder erkennen, dass Cybermobbing oft aus Unsicherheit oder Gruppendruck der Mobbing-Verursacher entsteht, verlieren die Angriffe an Macht. Das Kind kann sich besser innerlich abgrenzen, weil es bei mir lernt, es ist nicht seine Schuld und es ist genau richtig so wie es ist. Dann üben wir Selbstbehauptung: Wie kann ich klare Grenzen setzen? Wann lohnt es sich zu antworten und wann ist Schweigen oder Verlassen der Gruppe die stärkere Wahl? Wir arbeiten mit echten Beispielen, Rollenspielen oder Playmobil-Szenen, damit das Kind spürt: Ich bin nicht ausgeliefert, ich kann etwas tun! Wichtig ist auch der Umgang mit Gefühlen: Gefühle zu benennen ist essenziell, damit sich das Kind seinen Eltern mitteilen kann. Bei mir im Coaching dürfen alle Gefühle da sein, auch die unangenehmen. Sie sind sogar wichtig, denn sie zeigen uns immer eine Grenze auf. Ich helfe den Kindern mit Tools, wie sie rascher aus den unangenehmen Gefühlen aussteigen können. Wir haben nämlich immer mehrere Anteile in uns und wichtig ist, dass kein negatives Gefühl langfristig die Macht in uns übernimmt. Wir haben die Kontrolle über unsere Gefühle und nur schon dieses Wissen, entlastet die Kinder schon sehr. Die Kinder kriegen einen SOS-Plan bei mir, wie sie vorgehen, wenn sie von Cybermobbing betroffen sind oder bei anderen Kindern in Gruppenchats mitkriegen. Ich möchte die Kinder bestärken nicht zu schweigen oder sich zu verkriechen, sondern in die Eigenverantwortung zu gehen. Es gibt für alles eine Lösung. Ich stärke das Kind nicht gegen andere, sondern für sich selbst. Denn wer seinen eigenen Wert kennt, lässt sich nicht so leicht verletzen.

Viele Eltern stehen vor der Frage: Wie begleite ich mein Kind beim Einstieg ins digitale Leben, ohne es zu überfordern, aber auch, ohne es allein zu lassen? Was braucht es aus deiner Sicht, damit Kinder sich sicher und ernst genommen fühlen ?

Der Einstieg ins digitale Leben ist ein bisschen wie Fahrradfahren lernen: Man muss loslassen, aber mit einer Hand noch am Sattel bleiben. Kinder brauchen digitale Freiräume, aber gleichzeitig Orientierung, Sicherheit und das Gefühl: Meine Eltern sind da, wenn etwas schiefläuft. Was hilft: • Interesse statt ständiger Kontrolle. Nicht überwachen, sondern begleiten: „Zeig mir mal deine LieblingsApps!“ oder „Was findest du spannend daran?“ so entsteht Nähe statt Widerstand. • Klare Absprachen. Wann, wie lange, was. Gemeinsame Absprachen vereinbaren statt einseitig vorgegeben. So erleben Kinder Mitbestimmungsrecht und gleichzeitig Halt. • Regelmässige Gespräche. Nicht nur bei Problemen, sondern ganz selbstverständlich: Was ist heute online passiert? Was war schön oder komisch? Wer diesen Austausch früh etabliert, bleibt auch bei schwierigen online Situationen mit den Eltern im Gespräch. • Ernst genommen werden. Wenn ein Kind von einer blöden Nachricht erzählt, braucht es kein „Ist doch nicht so schlimm“, sondern echtes Zuhören und Unterstützung. Kinder fühlen sich sicher, wenn sie merken: Ich darf noch lernen und ich bin nicht allein damit. Digitale Stärke entsteht nicht durch Verbote, sondern durch Beziehung und gemeinsame Absprachen.

Wenn du an deine Arbeit denkst: In welchen Momenten wünschst du dir eine stärkere digitale Unterstützung – z. B. durch Tools, die Eltern und Kinder konkret durch schwierige Online-Situationen begleiten oder vorbeugen können?

Ich wünsche mir digitale Unterstützung besonders in den Momenten, in denen Eltern völlig überfordert sind. Etwa wenn sie merken, dass ihr Kind im Netz blossgestellt wurde, beleidigende Nachrichten bekommt oder sich plötzlich komplett zurückzieht, weil es gerade selbst mit der Situation überfordert ist. In solchen Situationen fehlt oft ein klarer Handlungsplan. Eine digitale Lösung könnte hier niedrigschwellig, schnell und empathisch begleiten: zum Beispiel mit einem Erste-Hilfe-Tool für Eltern und Kinder – „Was tun, wenn…?“ Ein Tool, welches Schritt für Schritt zeigt, wie man Screenshots sichert, eine Plattform meldet oder das Gespräch mit dem Kind beginnt. Auch präventiv wäre digitale Unterstützung Gold wert: etwa durch interaktive Module, die Kindern zeigen, wie sie Grenzen setzen, wie sie Cybermobbing erkennen und vor allem, dass sie kein Opfer bleiben müssen. Für mich wäre ein echtes Herzensanliegen, wenn solche Tools nicht nur „beschützen“ und die Bildschirmzeit begrenzen oder filtern, sondern Kinder und Eltern in ihrer inneren Stärke wachsen lassen durch Selbstreflexion, Perspektivwechsel und echte Selbstwirksamkeit.

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