Bildschirmzeit bei Kindern: Wie viel ist zu viel?
Die Frage nach der richtigen Bildschirmzeit für Kinder beschäftigt heute nahezu jede Familie. Zwischen WhatsApp, YouTube und digitalen Schulplattformen fällt es Eltern oft schwer, eine klare Grenze zu ziehen. Was ist zu viel? Was ist noch okay? Und vor allem: Wie begleite ich mein Kind sinnvoll im digitalen Alltag, ohne nur zu verbieten? In einer Welt, in der digitale Medien zum festen Bestandteil der kindlichen Lebenswelt gehören, braucht es mehr als technische Regeln – es braucht Beziehung, Orientierung und Medienkompetenz.

Expertin für Medienerziehung
Begleitet Familien und pädagogische Fachkräfte im sicheren Umgang mit digitalen Medien
Website: www.kinderleichtstark.de
Instagram: kinderleicht_stark
Du begleitest viele Familien auf ihrem Weg zu mehr Leichtigkeit und Stärke im Alltag. Was erlebst du als die größten Herausforderungen, wenn es um den Umgang mit Bildschirmzeit und Handys bei Kindern geht?
Eine der größten Herausforderungen, die ich erlebe, ist die fehlende Medienkompetenz. Nicht nur bei den Kindern, sondern auch bei uns Erwachsenen. Und das meine ich ganz ohne Vorwurf. Es ist ein sensibles Thema, bei dem viele Eltern und Pädagog*innen verunsichert sind.
Wir begleiten unsere Kinder auf so vielen Wegen: Wir bringen ihnen bei, mit Messer und Gabel zu essen, windelfrei zu werden, wir üben mit ihnen den Schulweg. Wir zeigen ihnen, wie die Welt funktioniert, Stück für Stück, passend zu ihrem Alter. Aber wenn es um digitale Medien geht, schrecken viele zurück. Oft höre ich: „Das braucht mein Kind noch nicht“ oder „Dafür ist es noch zu früh“.
Doch die digitale Welt ist längst Teil ihres Lebens. Wenn wir wollen, dass unsere Kinder selbstständig und verantwortungsvoll mit Medien umgehen können, müssen wir sie auch hier begleiten, Schritt für Schritt.
Ich selbst bin zum Beispiel keine begeisterte Köchin. Ich koche, damit wir satt werden, das reicht im Alltag oft gerade so. Ich weiß aber, dass gesunde Ernährung eine wichtige Kompetenz ist. Und trotzdem fällt es mir schwer, mit meinen Kindern regelmäßig zu kochen. Doch manchmal muss man über den eigenen Schatten springen, weil es eben nicht nur um das Hier und Jetzt geht, sondern um das, was unsere Kinder in der Zukunft brauchen.
Erziehung passiert nicht zufällig. Wir handeln nach unseren eigenen Werten und Vorstellungen, bewusst oder unbewusst. Wenn wir bei digitalen Themen wegschauen, tun wir unseren Kindern keinen Gefallen. Stattdessen können wir ihnen zeigen, wie man mit Medien sinnvoll, kritisch und kreativ umgeht. Denn auch hier gilt: Wir sind die Vorbilder.
Doch auch das andere Extrem birgt Gefahren: Unbegrenzte und unreflektierte Medienzeit. Besonders in jungen Jahren kann das sehr problematisch sein. Statt einfach Freiheiten zu gewähren, sollten wir lieber aktiv zeigen, wie Medien sinnvoll und gezielt genutzt werden können. Es geht nicht darum, den Zugang zu digitalen Inhalten zu blockieren, sondern gemeinsam mit den Kindern zu entdecken, wie man Medien kreativ und verantwortungsvoll einsetzen kann. Durch diese Begleitung lernen sie nicht nur, wie sie sich sicher in der digitalen Welt bewegen, sondern entwickeln auch ein gutes Gespür dafür, welche Inhalte und Interaktionen für sie wertvoll sind. Gemeinsam können wir ihnen helfen, Medien als wertvolle Werkzeuge zu nutzen, statt sie als reine Ablenkung oder gar Gefahr wahrzunehmen.
In deiner Arbeit stärkst du Kinder in ihrer Selbstwahrnehmung und Entscheidungsfähigkeit. Wie kann diese innere Stärke helfen, auch beim Thema Medienkonsum eigenverantwortlich zu handeln?
Kinder, die lernen, sich selbst gut wahrzunehmen und eigene Entscheidungen zu treffen, entwickeln genau die innere Stärke, die sie auch im Umgang mit digitalen Medien brauchen.
Im Resilienztraining stärke ich genau diese Fähigkeiten: sich selbst spüren, Bedürfnisse erkennen, Grenzen wahrnehmen und bewusst Entscheidungen treffen, statt sich treiben zu lassen. Diese Kompetenzen sind grundlegend, wenn es um eigenverantwortlichen Medienkonsum geht.
Denn Medien fordern Kinder heraus. Sie bieten Unterhaltung, Anerkennung, Ablenkung, aber sie können auch überfordern, abhängig machen oder das Selbstwertgefühl untergraben. Nur wer sich selbst gut kennt und sich als handlungsfähig erlebt, kann bewusst mit diesen Reizen umgehen.
Medienkompetenz bedeutet nicht nur, Technik zu verstehen, sondern auch zu wissen:
Was macht das mit mir?
Warum greife ich zum Handy?
Was tut mir gerade gut und was nicht?
Ein besonders sensibles Thema in diesem Zusammenhang ist Cybermobbing.
Wenn Kinder online beleidigt, ausgeschlossen oder bloßgestellt werden, betrifft das nicht nur ihren digitalen Raum, sondern ihre ganze Persönlichkeit. Kinder, die gelernt haben, für sich selbst einzustehen, Hilfe einzufordern und klar zwischen eigenem Wert und äußerer Meinung zu unterscheiden, sind besser geschützt, nicht im Sinne von „unverwundbar“, aber resilienter.
Gleichzeitig lernen sie, Verantwortung für ihr eigenes Verhalten online zu übernehmen und sensibel mit anderen umzugehen. Denn wer sich selbst spürt, erkennt auch schneller, wenn Grenzen bei anderen überschritten werden.
Diese Art von innerer Stärke und sozialer Kompetenz entsteht nicht durch Regeln allein, sondern durch Beziehung, Vorbild, Begleitung und die bewusste Auseinandersetzung mit dem, was Kinder heute wirklich bewegt.
Du arbeitest auch mit pädagogischen Fachkräften zusammen: Was sollten Kitas, Schulen oder Horte beim Thema „Medienerziehung“ stärker berücksichtigen, um Familien gezielt zu unterstützen?
In meiner Arbeit mit pädagogischen Fachkräften sehe ich immer wieder, wie groß die Unsicherheit rund um das Thema Medienerziehung ist, gerade im Kita- und Grundschulbereich. Dabei liegt in der frühen und positiven Auseinandersetzung mit digitalen Medien eine große Chance, Kinder und ihre Familien gut auf die Lebenswelt von heute und morgen vorzubereiten.
Was es dafür braucht, ist vor allem eines: Offenheit.
Offenheit dafür, dass Medien ein fester Bestandteil der kindlichen Lebenswelt sind und dass wir als Fachkräfte nicht in erster Linie kontrollieren, sondern begleiten, anregen und befähigen sollten.
Wichtig ist: Eltern mit ins Boot holen.Viele Familien wünschen sich Orientierung, sind aber gleichzeitig unsicher oder skeptisch. Informationsveranstaltungen, Medienabende oder Praxisbeispiele können hier viel bewirken. Besonders hilfreich ist es, wenn Einrichtungen nicht nur warnen oder reglementieren, sondern zeigen, wie Medien sinnvoll, altersgerecht und kreativ eingesetzt werden können.
Zum Beispiel durch Kreativprojekte wie Stop-Motion-Filme oder Hörspielproduktionen, Workshops, in denen Kinder gemeinsam mit Fachkräften Medien erleben und gestalten, Eltern-Kind-Angebote, bei denen gemeinsam ein Video gedreht oder ein Spiel wie Minecraft ausprobiert wird.
Auch Einblicke in gute Praxis helfen: Was bedeutet altersgerechter Medienumgang im Kindergarten konkret? Wie kann man Medien im Alltag sinnvoll integrieren, ohne bewährte pädagogische Methoden zu verdrängen?
Es geht nicht darum, klassische Bildungswege durch digitale Medien zu ersetzen, sondern sie sinnvoll zu ergänzen.
Medien können zum Entdecken, Forschen, Gestalten und Nachdenken anregen, wenn sie bewusst und gut begleitet eingesetzt werden.
Die Botschaft an Eltern und Fachkräfte sollte sein: Wir müssen keine Angst vor Medien haben, aber wir müssen uns mit ihnen auseinandersetzen. Gemeinsam mit den Kindern, auf Augenhöhe, mit Neugier, Haltung und Herz.
Wenn Kinder in Konflikte mit Gleichaltrigen über WhatsApp oder andere Plattformen geraten – was rätst du Eltern, um ihre Kinder zu stärken, ohne ihnen die digitale Welt zu verbieten?
Wenn Kinder in Konflikte mit Gleichaltrigen über WhatsApp, Instagram oder andere Plattformen geraten oder sogar von Cybermobbing betroffen sind, stehen viele Eltern unter Schock. Die erste Reaktion ist oft der Impuls, das Handy sofort wegzunehmen, um das eigene Kind zu schützen. Doch so nachvollziehbar dieser Reflex ist, er führt häufig in die falsche Richtung. Denn das Handy ist nicht die Ursache des Problems, es ist lediglich das Medium, über das die Konflikte ausgetragen werden.
Mobbing ist für Kinder und Jugendliche ohnehin eine starke psychische Belastung. Wenn es aber nur in der Schule stattfindet, gibt es zu Hause zumindest noch einen sicheren Ort, an dem sie sich erholen, auftanken und durchatmen können. Beim Cybermobbing ist das anders: Die verletzenden Nachrichten, Kommentare oder Gruppenaktivitäten hören nicht mit dem Schulschluss auf. Sie begleiten Kinder und Jugendliche in ihr Zimmer, in ihr Bett, in ihre Gedanken, oft ohne Pause.
Gerade deshalb ist es wichtig, das Handy nicht zu verbieten. Für viele Kinder würde das wie eine zusätzliche Strafe wirken. Sie verlieren nicht nur den Zugang zur digitalen Welt, sondern auch die Möglichkeit, mit vertrauten Menschen Kontakt zu halten. Und vor allem: Sie könnten das Vertrauen in ihre Eltern verlieren, aus Angst vor Konsequenzen, wenn sie sich öffnen
Das Wichtigste ist in solchen Situationen, dem Kind sofort zu signalisieren: Du bist nicht allein. Ich bin für dich da, wir schaffen das gemeinsam. Diese Haltung gibt Sicherheit und eröffnet den Raum für echte Gespräche. Statt vorschnell zu handeln, ist es wichtig, gemeinsam zu überlegen, wie die nächsten Schritte aussehen können. Was braucht mein Kind jetzt? Was würde ihm helfen, sich wieder sicher zu fühlen? Indem wir unsere Kinder in die Lösungssuche mit einbeziehen, nehmen wir sie ernst und stärken genau das Vertrauen, das sie jetzt am dringendsten brauchen.
Auch Gespräche mit der Schule, mit Lehrkräften oder Schulsozialarbeiter*innen können hilfreich sein. In manchen Fällen kann ein Austausch mit den Eltern anderer beteiligter Kinder sinnvoll und klärend wirken. Denn wir Eltern sitzen alle im selben Boot, und wenn wir ins Gespräch kommen, entstehen oft ganz neue Möglichkeiten, gemeinsam Lösungen zu finden.
Kinder brauchen in diesen Situationen keine Kontrolle, sondern Beziehung, Vertrauen und das klare Gefühl: Ich werde gesehen und begleitet.
Ab welchem Alter macht aus deiner Sicht ein eigenes Handy für Kinder Sinn – und unter welchen Bedingungen sollte das erste Smartphone eingeführt werden?
Die Frage, ab wann ein eigenes Handy für Kinder sinnvoll ist, beschäftigt viele Familien, besonders rund um den Wechsel auf die weiterführende Schule. Häufig bekommen Kinder zum Start in die 5. Klasse ihr erstes Smartphone, doch genau das kann ein ungünstiger Zeitpunkt sein. Der Schulwechsel bringt ohnehin viele Veränderungen und Herausforderungen mit sich: neue Klassen, neue Wege, neue Lehrkräfte, mehr Selbstständigkeit. Wenn dann auch noch ein Smartphone dazukommt, kann das schnell zur Überforderung führen. Nicht nur organisatorisch, sondern auch emotional.
Aus meiner Sicht ist es deshalb oft klüger, das erste eigene Handy nicht direkt zum Schulstart, sondern bereits früher einzuführen. Zum Beispiel zu Weihnachten oder zum Geburtstag im letzten Grundschuljahr. So bleibt genug Zeit, sich in einem vertrauten Umfeld mit dem Gerät, seinen Funktionen und den Regeln vertraut zu machen, bevor der Alltag in der neuen Schule beginnt.
Ein guter Einstieg kann auch ein sogenanntes Familienhandy sein. Das Kind darf es nutzen, aber es bleibt in gemeinsamer Verantwortung. Ein schöner symbolischer Moment ist zum Beispiel die Einladung in die Familien-WhatsApp-Gruppe. Dabei zeigt sich oft schon, wie viel Feingefühl im digitalen Miteinander notwendig ist. Ein Kind postet stolz ein Bild seines selbstgemalten Kunstwerks und Oma reagiert versehentlich mit dem falschen Emoji. Vielleicht ein Kotz-Smiley statt eines Herzens. Für uns Erwachsene ist das schnell erklärt, für das Kind aber erstmal verwirrend und verletzend. Genau solche kleinen Missverständnisse sind wertvolle Lernmomente, die zeigen: Digitale Kommunikation braucht Übung, Begleitung und Raum für Reflexion.